Als die Hybrid-Liga noch eine Idee war, sagte Millennium-Geschäftsführer Maximilian Hegener schon: „Wir werden Teil des offiziellen Turnierbetriebs, wir werden bald internationale Turniere ausstatten.“ Dieses Zitat führte zu einem Interview mit Hegener auf der Schachseite „Perlen vom Bodensee“, in dem der Millennium-Chef seine Pläne und Ideen erläuterte. Kurz bevor der Plan, eine Liga zu gründen, nun Wirklichkeit wird, sei das Interview hier ein weiteres Mal publiziert – ein Blick in die Geschichte der ersten Hybrid-Liga.

Millennium-Chef Maximilian Hegener (Mitte) mit Co-Geschäftsführer Thomas Karkosch (links) und FIDE-Schiedsrichter Suhel Abdalla bei einem Testwettkampf zwischen Vereinsmannschaften mit den elektronischen Turnierbrettern. | Foto: Perlen vom Bodensee

Herr Hegener, auf Ihrer Website sagen Sie: „Wir werden Teil des offiziellen Turnierbetriebs, wir werden bald internationale Wettkämpfe ausstatten.“ Was haben Sie vor?

Wir wollen Teil des Turnierschachs werden, indem wir Turnierschach am Brett trotz widriger Umstände ermöglichen. In der Corona-Zeit hat sich eine neue Spielform etabliert: hybrides Schach, die Verbindung von physischem mit Onlineschach. Und das, obwohl die Voraussetzungen noch gar nicht ideal waren, weil es dafür keine Bretter gab. Die Spieler mussten während ihrer Hybrid-Partien zwischen Brett und Bildschirm hin- und herschauen, sie mussten Züge auf dem Brett und mit der Maus doppelt ausführen. Trotzdem wurde auf höchster Ebene bis zum WM-Zyklus hybrid gespielt, zuletzt die Jugend-Europameisterschaft, und die Verbände haben die DWZ- und Elo-Auswertung von hybriden Wettkämpfen möglich gemacht. Wir sind überzeugt, dass hybrides Schach noch enorm viel ungenutztes Potenzial hat und sich als neue Spielform langsam, aber sicher ausbreiten wird. Das wollen wir anschieben, auch mit eigenen Turnierangeboten.

Angenommen, die Pandemie verschwindet: Warum sollte hybrides Schach bleiben?

Wegen seiner vielen Vorteile. Alle Beteiligten sparen Reisekosten und Zeit, dazu der Umwelt-Aspekt. Außerdem sind jetzt Turnierformate möglich, die bisher ausgeschlossen waren, von der internationalen Liga bis zum Open mit Spielsälen in verschiedenen Städten. Hybrides Schach erweitert für Veranstalter den Kreis potenzieller Teilnehmer auf ungeahnte Weise.

Sind die Voraussetzungen jetzt besser?

Der Gegner in Berlin zieht …Sb8-d7, auf dem Brett in München wird der Zug angezeigt. „Der Spieler kann sich ganz aufs Brett konzentrieren, Hin- und Hergucken und Ziehen mit der Maus ist nicht mehr nötig“, sagt Hegener. | Foto: Millennium

Unser Turnierbrett ist auf diese neue Spielform ausgerichtet. Das Supreme Tournament 55 macht das hybride Spielerlebnis authentischer. Die Spieler führen ihren Zug auf dem Brett aus, mehr müssen sie nicht tun, und wenn der Gegner gezogen hat, blinkt dessen Zug auf dem Brett. Das Hin- und Herschauen zwischen Bildschirm und Brett und das Bedienen der Maus entfällt, die Spieler können sich allein aufs Brett konzentrieren – und eben echte Figuren führen.

Nachdem Ihr Unternehmen das Online-Schach entdeckt hatte, lag Ihr Fokus anfangs darauf, das Spielerlebnis von Freizeitspielern mit einem Brett fürs private Online-Schach daheim zu verbessern. So hat es Thomas Karkosch einst beschrieben. Nun hat sich Ihr Fokus auf organisierte Schachspieler ausgeweitet.

Beim Turniersport ist der Erlebnisfaktor noch wichtiger. Spätestens als während der Corona-Zeit das Turnierschach am Brett zum Erliegen gekommen war, offenbarte sich, dass Bedarf besteht. Die Turnierspieler haben das Brett vermisst, das physische Spielerlebnis. Als Folge davon kam hybrides Schach auf, anfangs mit einer internationalen Test-Liga, dann bei offiziellen Wettkämpfen. Erfunden haben wir das Thema nicht, aber wir sehen den Bedarf und wollen helfen, die neue Spielform zu entwickeln, indem wir Turnierschachspielern ein maximal echtes Spielerlebnis geben.

Die deutsche Delegation bei der hybrid ausgetragenen Europameisterschaft, das jüngste einer Reihe von hybrid gespielten internationalen Turnieren. Die Spielform hat sich während der Pandemie verbreitet, und das, obwohl es noch gar keine Bretter dafür gab. Auch bei der EM mussten die deutschen Spitzentalente auf herkömmlichen Brettern spielen. | Foto: Deutscher Schachbund

Bekannt sind Sie eher als Hersteller von Schachcomputern.

Auch als solcher haben wir stets auf das gehört, was von außen kommt, Impulse aus dem Markt aufgenommen. Ursprünglich haben wir Schachcomputer für die breite Masse produziert, preisgünstig, wenig spielstark, auf Anfänger und Gelegenheitsspieler ausgerichtet. Aus dem Kundenwunsch nach einem stärkeren, schöneren Produkt entstand der hochwertige Exclusive – und ist unheimlich eingeschlagen. Seitdem sind wir vermehrt auf hochwertige Produkte ausgerichtet. Dann wünschten sich immer mehr Kunden Bretter, mit denen sie auch auf Online-Plattformen wie Lichess oder chess.com spielen können. Die Corona-Zeit hat in dieser Hinsicht wie ein Katalysator gewirkt, die Nachfrage stieg enorm.

Das Supreme Tournament 55 erfüllt diesen Wunsch. Angekündigt war es für April 2021, dann reihte sich Verzögerung an Verzögerung.

Holz ist schwierig zu bekommen, und Komponenten fast jeglicher Art waren lange Mangelware, Bluetooth-Chips zum Beispiel. Und wo Verknappung herrscht, gehen die Preise hoch. Akut ist außerdem die Verschiffung von Ware so schwierig und langwierig wie nie zuvor. Die Pandemie hat uns zwar einen Nachfrageschub beschert, aber sie macht uns auch auf mehreren Feldern das Leben schwer. Trotzdem haben wir jetzt wieder „55er“ vorrätig, angesichts der nach wie vor hohen Nachfrage ist allerdings ungewiss, wie lange.

Ein Großteil Ihrer neuen Zielgruppe muss Sie erst noch kennenlernen. Gezielt an Vereinsschach sind Sie schon herangetreten.

Wir suchen den Kontakt zu Vereinen und Verbänden, national und international. Es geht ja auch darum, dass Wettkampfpartien auf dem 55er für die DWZ und Elozahl ausgewertet werden können, daran arbeiten wir. Im organisierten Schach suchen wir unter den Vereinen und Veranstaltern Mitstreiter, denen wir als Ausrüstungspartner zur Verfügung stehen können. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich in Form von Turnieren einiges tun, wir hoffen natürlich auf einen Multiplikatoreffekt. Außerdem rücken wir noch näher an Onlineplattformen heran. Im deutschsprachigen Raum sind uns die „Perlen vom Bodensee“ als das Sprachrohr aufgefallen, das neue Entwicklungen aufzeigt und begleitet und sich eben auch der Bedeutung von Hybrid-Schach bewusst ist. Auch daraus hat sich eine Partnerschaft ergeben, die helfen soll, unsere Produkte in der Schachszene bekannt zu machen und mit interessierten Spielern und Organisatoren in Verbindung zu treten.

Christoph Keil von der SU Ebersberg-Grafing (bei München) vor einem Testwettkampf seines bayerischen gegen einen Berliner Verein. | Foto: Millennium

Wie sollen Vereine einen Satz 55er bezahlen?

Wir stehen im Austausch mit einigen Schachclubs, und wir freuen uns über jeden weiteren Club, der den Kontakt zu uns sucht. Unsere Turnierangebote und Produkte wollen wir am Bedarf des organisierten Schachs ausrichten, insofern hören wir genau hin. Und neben speziellen Set-Angeboten für Vereine arbeiten wir schon daran, Finanzierungs- oder Leasingmodelle im Gespräch mit denen zu entwickeln, für die sie gedacht sind. Gerade jetzt in der Anfangsphase wollen wir die Einstiegsschwelle so niedrig wie möglich halten. Beide Seiten sollen profitieren.

Turnierangebote?

Aktuell laufen Testwettkämpfe, bei denen uns mehrere Vereine helfen, während wir den Vereinsspielern ein ganz neues Hybrid-Erlebnis bieten. Alle zusammen sind wir auf einer spannenden Reise, das ist Pionierarbeit fürs Schach. Ich kann mir vorstellen, dass daraus eine von uns unterstützte Hybrid-Liga entsteht, mittelfristig auch im internationalen Maßstab.

Die Millennium-Liga.

Warum nicht? Das wäre doch ein schöner Name.

Lassen sich mit dem Millennium-Turnier-eBoard hybride Blitz-Wettkämpfe spielen? Ein Test zwischen Vereinsspielern in Berlin, München und dem Württemberger Bezirk Unterland sollte das zeigen. Die Antwort: Ja, das geht, wie hier im Video aus Württemberg zu sehen ist.

Das 55er-Brett lässt sich auch als Schachcomputer verwenden. Warum kein reines eBoard?

Auf Basis eines Schachcomputers ein onlinefähiges Brett zu entwickeln, war für den Anfang die leichteste Lösung – und für uns eine Gelegenheit zu lernen. Als die Anfragen kamen, haben wir uns darum erst einmal darauf konzentriert, vorhandene Produkte netzwerktauglich zu machen. Nach wie vor sind alle unsere Geräte auch Standalone-Schachcomputer. Wir haben ja schließlich eine Stammkundschaft, die gerne gegen Computer spielt. Die nutzt diese Geräte jetzt, um auch Onlineschach am Brett zu spielen.

Etwas ganz Neues, ein eBoard für die neue Zielgruppe, die mit Schachcomputern nichts am Hut hat?

Wir fangen ja gerade erst an. Uns schweben eBoards vor, die eine jüngere, preissensiblere Zielgruppe ansprechen, da geht es dann klar in Richtung Onlineschach/Gaming. Ich kann nicht zu viel verraten, aber gesagt sei, dass nächstes Jahr eBoards ausschließlich für Onlineschachspieler kommen.

Als Anwender des 55ers würde ich mir eine Uhr im Brett wünschen. Dann müsste ich während der Partien gar nicht mehr auf die App schauen.

Das wäre eine Idee für die nächste Produktgeneration. Wir müssen unterscheiden zwischen kurzfristigen Entwicklungen und Sachen, die wir mittelfristig umsetzen. Aus unseren ersten Tests unter Turnierbedingungen haben wir schon manches gelernt, wir werden unmittelbar ein paar Kleinigkeiten verändern. Zum Beispiel haben Spieler während der Partie aus Versehen mit dem Ellbogen die LEDs ausgeschaltet. Das soll nicht mehr passieren, indem der Regler für die LED-Helligkeit bei Bedarf deaktiviert werden kann. An der Schnittstelle zwischen uns und unserem Softwarepartner Tornelo wird noch Feintuning geschehen. Aber das sind keine großen Sachen. Der Test zwischen Vereinsmannschaften hat ergeben, dass das Brett so, wie es ist, bereits sehr gut und sehr stabil für offizielle Mannschaftskämpfe funktioniert.

Der Schreiber dieser Zeilen spielt eine Lichess-Schnellpartie auf dem “55er”.