Für Olexandr Prohorov, Gründer und Präsident des Schachverbands von Lwiw, hat das Benefiz-Hybrid-Match gegen Berlin gut eine Woche vor dem Start der Partien schon begonnen – mit einem Rückschlag: Sein bester Mann fällt mit höchster Wahrscheinlichkeit aus. Wassili Iwantschuk, ehemalige Nummer zwei der Welt, hätte gerne am ersten Brett für seine Heimatstadt die neue Spielform im ersten internationalen Match ausprobiert, aber der 53-Jährige hat ein Angebot, bekommen, das er nicht ablehnen konnte. Iwantschuk ist Teil des Feldes im nächsten Turnier der Carlsen-Tour (18. bis 25. September).

Die Uhrzeit für das Benefiz-Match Lwiw versus Berlin am 23. September steht jetzt fest: Die erste Runde beginnt um 17 Uhr, gespielt wird Schnellschach 25+10 an vier bzw. acht Millennium-Turnierbrettern (vier in Berlin, vier in Lwiw). Die zweite Runde beginnt um 18.30 Uhr. Georgios Souleidis und Angelika Valkova begleiten das Geschehen im Live-Stream, voraussichtlich inklusive Gesprächen mit den Spielern.

Das Match wird Ukraine-Projekte des Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) unterstützen.  UNICEF versorgt geflüchtete Familien in der Ukraine und den Nachbarländern mit dem Nötigsten, richtet Anlaufstellen ein, verteilt lebensrettendes medizinisches Equipment. Alle Spenden werden in voller Höhe an die Ukraine-Projekte weitergeleitet. Wer spendet, bekommt via betterplace.org auf Wunsch eine Spendenquittung.

Beide Seiten haben jetzt (noch vorläufig) ihre vier Spieler benannt. Für Berlin wird GM Niclas Huschenbeth spielen, IM Steve Berger, IM Alexander Lagunow sowie FM Clemens Rietze. Sicher ist, dass das Berliner Quartett gegen die ukrainische Auswahl einen schweren Stand haben wird, obwohl deren bester Mann anderweitig beschäftigt ist. Teamchef Prohorov will drei GM an die Bretter schicken und einen jungen IM.

Einst Trainingspartner von Michail Tal, Besieger mehrerer Weltmeister, und er spielt immer noch: Oleg Romanishin. | Foto: Krzysztof Szeląg / Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

IM Danyil Mosesov (19) wird das Nesthäkchen des erfahrenen ukrainischen Teams sein. Die GM Volodymyr Vetoshko, Mikhail Kazakov und Schachlegende Oleg Romanishin (70), einstiger WM-Kandidat, besetzen die anderen Bretter. Zusammengetrommelt hat sie Olexandr Prohorov, mit knapp 2100 Elo selbst ein veritabler Spieler.

Im internationalen Schach ist der 39-Jährige mehr als Organisator, Schiedsrichter und Funktionär bekannt. Als solcher ist Prohorov derzeit vor allem damit beschäftigt, das Schach in seiner Heimat wiederzubeleben, wie er im Gespräch erklärte:

Olexandr, wie geht es dem Schach in der Ukraine?

Das liegt brach, mehr oder weniger. Viele Spielerinnen und Spieler, Topspieler vor allem, haben das Land verlassen, und dieser Status wird sich nicht so bald ändern. Für Männer zwischen 18 und 60 gilt ein Ausreiseverbot. So lange das gilt, können sie schlecht zurückkommen.

Gibt es für ukrainische Spitzensportler und Profis keine Genehmigungen, im Ausland ihrem Beruf nachzugehen?

Die gibt es nur für offizielle Turniere, die Schacholympiade etwa oder die Europameisterschaft. Für die Teilnahme an privat organisierten Turnieren würde unser Sportministerium nie eine Genehmigung ausstellen.

Du bist und bleibst in Lwiw.

Und ich versuche hier, jetzt erste Wettbewerbe zu organisieren, damit in der Ukraine wieder Turnierschach gespielt wird. Unser Hybrid-Benefiz-Match am 23. September ist ein Baustein davon. Ein anderer war das Turnier, das wir am Unabhängigkeitstag in Kyiv auf die Beine gestellt haben. Am 24. und 25. September werden wir, wieder in Kyiv, ein stark besetztes Schnellturnier ausrichten. Dafür habe ich sogar ein wenig Preisgeld aufgetrieben, 2.000 Euro. Für dich mag das nicht nach viel klingen, aber hier unter den gegenwärtigen Umständen ist das eine sehr ordentliche Summe. Ich hoffe, dass mittelfristig wieder offizielle Turniere möglich sind, Jugendturniere und natürlich das Superfinale der ukrainischen Meisterschaft.

Die Idee fürs Hybrid-Match ist schon vor einigen Monaten entstanden.

Ja, etwas Neues, eine Möglichkeit, sich international zu messen, außerdem etwas, das einige Aufmerksamkeit bekommen wird – und das für einen guten Zweck. Eine tolle Sache, für uns eine Gelegenheit. Die Millennium-Bretter herzubekommen, war allerdings gar nicht einfach. Und anfangs stand natürlich die Frage im Raum, ob es sicher ist.

Ist es das?

Im März hat es uns in Lwiw einige Male getroffen. Das hat sich jetzt geändert. Hier im äußeren Westen der Ukraine, mehr als 1000 Kilometer von der Front entfernt, ist die Stadt zwar voll mit Geflüchteten, aber es ist ruhig. Es werden nicht während des Matches plötzlich die Luftsirenen heulen. Vor drei Wochen beim Turnier in Kyiv sah das anders aus. Es war klar, dass die Russen an unserem Unabhängigkeitstag viele Raketen schicken werden.

Stimmen dich die Erfolgsmeldungen der vergangenen Tage optimistisch?

Ich glaube, dass der Krieg noch Jahre dauern wird. Aber wir kämpfen, wir wehren uns, wir bekommen viel Hilfe, und wir haben Erfolge.

Lwiw ist eigentlich eine Schachstadt.

Ja, normalerweise leben hier 23 Großmeister: Ivanchuk, die Muzychuks, Romanishin, Beliavsky und so weiter, viele berühmte Leute. Aber in dieser besonderen Lage weiß gerade niemand, wer sich wo aufhält. Trotzdem, wir werden vier starke Spieler aufbieten. Technisch ist alles vorbereitet, ein schönes Spiellokal haben wir auch gefunden, die „Physical Culture University“.

Gibt es keinen Schachclub in Lwiw?

Keinen mit Räumlichkeiten. So etwas gab es, aber die Behörden nutzen das Gebäude jetzt anders, eine andere Geschichte. Das Schach in Lwiw hat seitdem jedenfalls keinen festen Ort. Aber es gibt einige schöne alte Gebäude hier, die wir für Schachveranstaltungen nutzen können.

Die „Lviv State University of Physical Culture“ wird auf ukrainischer Seite Schauplatz des Hybrid-Matches gegen Berlin am 23. September sein. | via Wikipedia